Heben Sie den Schatz in sich

  • 15. Dezember 2017

Dieser Text wurde im Magazin "Zwischen Erde und Himmel", Dezember 2017, veröffentlicht.

 

Haben Sie sich schon einmal gefragt, was Ihre Talente oder Gaben sind? Können Sie sie eindeutig benennen? Und die wichtigste Frage: Leben Sie diese wertvollen Schätze, die in Ihnen sind?

Vor 20 Jahren war ich felsenfest davon überzeugt, meine Gaben zu kennen und zu leben. Seltsam war nur, dass mir das, was ich tat, keine wirkliche Freude bereitete. Heute weiß ich: mein Denkfehler lag darin zu glauben, dass ich meine Gabe, mit Sprache umzugehen, nur IRGENDWIE ausleben musste, um zufrieden zu sein. Damals hatte ich eine Tätigkeit, in der Fremdsprachen gefragt waren. Eigentlich optimal, denn es fiel mir leicht, doch Freude machte es mir keine. Auch bei der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit spielte Sprache eine große Rolle. Schade, dass ich nur mit vorgegebenem Textmaterial arbeiten konnte. Freies Schreiben war nicht möglich. Und im Marketing ging es darum, Produkte „an den Mann/die Frau“ zu bringen, also nur in eine einzige Richtung zu denken. Das war mir zu eng. Lediglich bei der Kundenbetreuung fühlte ich mich etwas besser aufgehoben. 

Klavierspielen alleine ist es nicht

Ich merkte, persönlicher Kontakt ist mir wichtig und die Freiheit, selbstständig mit Sprache umgehen zu dürfen. Der Lerneffekt lag darin zu erkennen: Wenn ich gut Klavier spielen kann, reicht es nicht, einfach nur Klavier zu spielen, um innerlich zufrieden zu sein. Dazu gehört noch mehr, nämlich meine Persönlichkeit mit einzubeziehen. Diese Persönlichkeit sind meine „Schätze“, also die Art und Weise, wie ich funktioniere oder ticke.

Nehmen wir zwei Klavierspieler: Der eine geht vollkommen darin auf, klassische Stücke so nah wie möglich am Original zu spielen. Das ist eine besondere Gabe, bei der das Gehör und der Sinn für exakte Übereinstimmung eine große Rolle spielen. Der zweite Klavierspieler liebt es zu improvisieren, d.h. er orientiert sich an einem bekannten Musikstück, fügt aber eigene Interpretationen ein, so dass der Zuhörer das Stück zwar erkennt, dennoch die Individualität der Darbietung wahrnimmt. Das Fließen mit der Musik, das Erspüren der Harmonien und sich darin frei bewegen können macht die Besonderheit aus. Beide Künstler sind hochbegabt, was das Klavierspielen angeht. Doch ihre Individualität im Umgang mit ihren Fähigkeiten macht jeden von ihnen einzigartig.

Nach vielen, vielen Jahren, in denen ich immer mit Sprache arbeitete, musste ich erkennen, dass die Richtung zwar stimmte (etwas mit Sprache machen), aber die Ausführung eklatant zu wünschen übrig ließ. Die Freude bei der Arbeit war immer nur ansatzweise spürbar, der Rest war Frust. Welche Schätze in mir hatte ich bisher nicht erkannt, die mir mehr Zufriedenheit bei der Arbeit schenkten? Die Antwort war relativ einfach: 

  • Ich brauchte Freiheit: Wenn schon Sprache, dann ohne Vorgaben oder sonstige Einengungen.
  • Der Austausch mit Menschen: Nicht für ein Produkt sprechen, sondern mit Menschen aus Fleisch und Blut.
  • Meine ausgeprägte Empathiefähigkeit leben: Diesen Schatz konnte ich erst heben, als ich begann mit Menschen zu arbeiten.

Sind die Schätze am richtigen Ort?

Wunderbar, nur brauchte das in den Unternehmen, in denen ich tätig war, niemand. Ich war am falschen Platz mit meinen Schätzen. Als ich haarscharf an einem Burn-Out vorbeischrammte, war klar, ich musste dringend etwas ändern. Also begann ich mich umzuschauen nach Themen, die mich interessieren und die gleichzeitig die Bereiche Sprache und Menschen miteinander verbinden. Wohin das führte, sehen Sie heute: Ich berate Menschen in schwierigen Lebenssituationen, helfe Perspektiven zu wechseln und neuen Mut zu schöpfen. Mehrere Aus- und Weiterbildungen, u.a. als Heilpraktikerin (Psychotherapie) geben mir hierzu eine fundierte Basis. Klar, es dauerte einige Jahre, diesen Weg zu finden und zu gehen. Doch wenn ich jetzt mit Menschen arbeite oder sie ausbilde oder Texte für das Magazin schreibe, bin ich in meinem Element. Meine Gaben können leicht und ungehindert fließen, alles geschieht fast von alleine. Das Gefühl innerer Zufriedenheit begleitet mich seitdem tagtäglich und es überwiegt auch in schwierigen Situationen, die es selbstverständlich ebenfalls gibt.

Kennen Sie Ihre Schätze?

All das erzähle ich Ihnen, weil Sie vielleicht ebenfalls merken, dass Sie noch längst nicht alles leben, was an Möglichkeiten in Ihnen steckt. Ich möchte Sie ermutigen nachzuforschen, welche Schätze Sie in sich tragen. Und sagen Sie nicht, Sie hätten keine. Das ist nämlich nicht möglich.

JEDER Mensch besitzt Gaben und Talente! JEDER! Auch Sie! Vielleicht sind Sie Ihnen nur nicht ganz klar? Wenn Sie jetzt sagen, naja, ich kann nicht Klavier spielen und besonders gut kochen kann ich auch nicht - eigentlich kann ich gar nichts besonders gut, dann haben Sie die funkelnden Besonderheiten in sich noch nicht entdeckt. Denn vollkommen unabhängig davon, ob sie eine Sache gut können wie Ski fahren, Musik machen, Backen, Angeln, Dichten, Basteln, usw., gibt es weitere, meist unerkannte Schätze, denen in der Regel recht wenig Anerkennung geschenkt wird.

  • Zum Beispiel könnten Sie ein Optimierer sein, also jemand, der alles daraufhin betrachtet, ob es weiterentwickelt oder verbessert werden kann. 
  • Oder Sie sind ein Erschaffender, der große Freude daran hat, Neues in die Welt zu bringen.
  • Dann könnten Sie ein Kreativer sein, der alles mit eigenen, sehr individuellen Ideen bereichert.
  • Oder Sie sind ein Mitfühlender, der sich wunderbar in andere Menschen hineinversetzen kann. 
  • Vielleicht sind Sie ein Bewahrer, also jemand, der das Gute im Bestehenden erkennt und schützt. 
  • Oder aber Sie sind ein Unterstützer, der anderen den Rücken stärkt in ihrem Tun. 
  • Vielleicht tun Ihnen feste Strukturen gut, in denen Sie sich bewegen können, oder aber Sie brauchen absoluten Freiraum.
  • Vielleicht können Sie besonders gut Zuhören und so anderen das Gefühl geben, dass sie wichtig sind. 
  • Vielleicht haben Sie immer den Überblick über große Zusammenhänge, was es Ihnen erleichtert, schnell den Kern einer Sache zu erkennen. 
  • Vielleicht lieben Sie es, den Dingen auf den Grund zu gehen und jedes Detail auszuloten. 
  • Oder Sie gehören zu den Fragestellern, die sich für viele Themen interessieren und so ein breites Wissen erlangen. 
  • Vielleicht lieben Sie es mit Menschen umzugehen.
  • Oder im Gegensatz dazu benötigen Sie die Abgeschiedenheit, um mit sich im Einklang zu sein. 
  • Vielleicht lieben Sie es, Höchstleistungen zu vollbringen und sind nur zufrieden, wenn Sie „alles gegeben“ haben...

Es gibt sehr, sehr viele Talente dieser Art. Sie gehören zu uns wie unsere Arme oder Finger und sind meist so selbstverständlich, dass wir sie gar nicht wirklich bemerken. Ist es denn ein Talent, wenn man „Zuhörer“ ist? Ja, denn nicht jeder Mensch kann das! Zuhörer lieben es, auf den einzelnen einzugehen und ihn ganz und gar wahrzunehmen. Stellen Sie sich vor, ein waschechter Zuhörer müsste den ganzen Tag als Verkäufer auf die Menschen einreden, um ihnen ein spezielles Produkt zu verkaufen. Er würde sich damit sehr unwohl fühlen. Wahrscheinlich würde er seine Verkaufsstrategie seinem Talent anpassen: Er würde erst einmal zuhören, was der Kunde benötigt, bevor er ihm das passende Produkt vorschlägt. Sie merken, worauf ich hinaus möchte: Diese Talente sind ganz, ganz tief in uns verwurzelt, und wenn wir sie nicht berücksichtigen, d.h. nicht leben, werden wir sehr unzufrieden.

Unsere Natur, also das, was in uns ist, will sich leben!

Das ist unser Auftrag und darum funktioniert auch die gesellschaftlich gewünschte Gleichmacherei nicht. Das „Normale“ ist auf den Menschen gar nicht anwendbar, denn es gibt das Normale nicht! Jeder „normale“ Mensch ist einzigartig, also einzig in seiner Art. Ausgestattet mit ganz individuellen Schätzen, die gelebt werden wollen. Pressen wir uns selbst in eine Norm und unterdrücken damit unsere Anlagen, gehen wir, bildlich gesprochen, ein wie eine Primel.

In meine Praxis kommen häufig Menschen, die sich auf die Suche nach ihren Potentialen machen möchten. Es erfordert einiges an Mut und Durchhaltevermögen, diesen Weg zu gehen und sich den gesellschaftlichen Normen gepflegt zu entziehen. Denn wenn wir unsere Stärken entdecken, quasi den Löwen aus dem Käfig lassen, werden wir selbstbestimmt und frei. Und das ist mit Sicherheit nicht das, was den angepassten Bürger oder Mitarbeiter ausmacht. Aber es macht einen zufriedenen Menschen aus, einen Menschen, der mit sich selbst im Reinen ist. Und allein deshalb ist es die Anstrengung wert. 

Machen Sie sich also auf den Weg, Ihre Schätze zu finden, das, was Sie von anderen unterscheidet. Und feiern Sie diese Schätze, jeden Tag und immer wieder. Sie sind nicht jedermann oder jederfrau - Sie sind einzigartig!

  • Copyright © Angela Steffens | Alle Texte sind urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten.