Wie gehen wir miteinander um?

  • 16. November 2021

Ich bin entsetzt! Entsetzt über die unverhohlene sprachliche Gewalt gegen Menschen, die für ihre Überzeugungen einstehen. Ich meine keine bestimmte Überzeugung, ich möchte mich noch nicht mal auf ein Thema fokussieren, sei es noch so präsent in der öffentlichen Diskussion.

Wie gehen wir miteinander um? Es treibt mir die Tränen in die Augen vor Wut. Und vor Enttäuschung. Offensichtlich hatte ich die Erwartung, dass die Meinungen anderer - wenn auch u.U. nicht für gut befunden - respektiert wird. Wenigstens neutral stehen gelassen wird. Wenigstens das.

Aber selbst Menschen, bei denen ich davon ausgegangen bin, dass sie diese innere Haltung des gegenseitigen Respekts haben, sind nicht so. Der Kreis derer, unter denen ich mich wohl fühle, minimiert sich enorm. Und ich meine damit nicht diejenigen, die gleicher Meinung sind wie ich. Das ist gar nicht wesentlich.

Das Schlimmste ist für mich gerade die Erkenntnis, dass Menschen, denen ich mein Vertrauen geschenkt habe, mir oder auch anderen verbal brutal ins Gesicht schlagen, wenn man anderer Meinung ist. Dass mich das trifft, verstehe ich, denn es ist eine alte Wunde, die durch die aktuelle Situation wieder aufgerissen wird. Ich werde die Chance nutzen, sie ein Stück weiter heilen zu lassen.

Normalerweise bin ich ein grundsätzlich sehr zuversichtlicher Mensch. Normalerweise würde ich jetzt schreiben, naja, was in unserer Gesellschaft gerade passiert, ist ja auch eine Chance, dass wir sagen, hey diese Spaltung wollen wir nicht. Wir setzen uns ein für ein respektvolles Miteinander.

Aber heute kann ich das gerade nicht. Ich bin gerade gar nicht zuversichtlich.

Ehrlich gesagt fühle ich Ohnmacht, Hilflosigkeit, unbändige Wut und gleichzeitig Trauer über das, was ich Tag für Tag beobachte. Meine Rückzugstendenzen sind enorm, der Wunsch, mich einzuigeln und abzugrenzen, ja zu schützen vor dieser unachtsamen, respektlosen, rohen Gewalt steigt. 
Diese Art des Gegeneinanders ist nicht meins und ich wehre mich mit Händen und Füßen, hier mitzuspielen. Auch wenn das bedeutet, mich damit auszugrenzen.

Gleichzeitig weiß ich aber, dass Rückzug nicht die Lösung ist. Vielleicht ist das der Grund, weshalb ich meine Gefühle heute aufschreibe und mitteile. Es liegt mir absolut fern, einen pathetischen Aufruf zu einem freundlicheren Umgang miteinander zu starten. Ich bin gerade so gefrustet, dass mir sogar das unwichtig erscheint. Es musste gerade nur raus.

Was müssen wir uns noch alles antun, wie viele Verletzungen uns gegenseitig zufügen, damit wir endlich respektvoller miteinander umgehen? 
Mir ist klar, dass der Mensch Bewertung/Urteil braucht, um Entscheidungen treffen zu können. Das ist zutiefst archaisch und dient vor allen Dingen dem Überleben.
Doch wir sind nicht mehr unter den Säbelzahntigern. Oder doch? Heißt die Bedrohung von außen jetzt vielleicht nur anders? Es geht ums Überleben? Rechtfertigt das, dass wir als die "Krone der Schöpfung" angstgesteuert miteinander umgehen, als wäre das Gegenüber ein ... ja was eigentlich? Feind? Täter? Idiot? A...loch? Despektierliche Bezeichnungen gibt es noch zahlreiche mehr. Von den im Extremfall "freundlichen Wünschen" für eine baldige Erkrankung oder sogar Lebensende mal abgesehen.

Gewalt ist nicht nur körperlicher Natur. Gewalt geschieht auch durch Sprache. Manchmal durch Blicke, sogar durch Nicht-Blicke. Sprache ist letztlich aber nur der Ausdruck einer inneren Haltung und somit nicht die Ursache, sondern lediglich ein Instrument.

Eigentlich bin ich also nicht entsetzt über die Sprache, sondern über die ihr zugrunde liegende innere Einstellung des Bewertens, Verurteilens, Ausgrenzens in einer äußerst verachtenden Form. Sprache zeigt, was mein Gegenüber wirklich denkt. Und dass diese Menschen so denken, haut mich im Moment einfach nur um.

Wünschen würde ich mir einen freundlichen Umgang, der jeden respektvoll dort sein lässt, wo er ist. Ich muss die Meinung nicht gut finden, ja kann sie sogar vollkommen ablehnen. Und dennoch: wenigstens Neutralität im Umgang miteinander.

Normalerweise habe ich immer eine Lösung parat. So bin ich halt, lösungsorientiert. Aber heute habe ich keine. Weder für mich selbst, noch für die, die das hier lesen. Ich werde mit mir selber abmachen, wie ich mit der Situation umgehen werde. In jedem Fall tut es mir gut, mir durch das Schreiben über einige persönliche Zusammenhänge noch klarer zu werden. Ha, da ist sie wieder, meine Art in allem ein kleines Fitzelchen Positives zu sehen. Da bin ich aber froh, dass mir das offensichtlich erhalten bleibt.

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