Lieben, aber bitte bedingungslos

  • 15. März 2019

Dieser Text wurde im Magazin "Zwischen Erde und Himmel", März 2019, veröffentlicht.

 

Lieben können wir alle, oder? Wir lieben unseren Partner, unsere Eltern, die Kinder sowieso, die (Haus-) Tiere, unseren Garten, unseren Beruf. Und wir sind uns auch klar darüber, was wir unter Liebe verstehen: wie lieben das, was wir mögen oder toll finden. Unser Herz quillt über vor Liebe bei dem Menschen, der Schmetterlinge in unserem Bauch flattern lässt. Und wir hoffen, dass dieser Mensch uns ebenso liebt. Wenn nicht, dann entlieben wir uns am besten wieder. Der Schmerz wäre zu groß, wenn wir aushielten, dass wir lieben, aber das Gegenüber uns eher weniger oder gar nicht liebt.

Ich habe den Eindruck, dass Liebe eines der verkanntesten Gefühle unserer Zeit ist. Liebe wird romantisiert, verrüscht, in Rosa gepackt. Alles ist gut, wenn die RICHTIGE Liebe unseren Weg kreuzt, der Ritter auf dem Schimmel dahergaloppiert und uns in die glückselige Zukunft mitnimmt. Nicht, dass ich diese Vorstellungen nicht von mir selbst kennen würde. Wer als junges Mädchen wie ich damals Schinken wie „Der Trotzkopf“ gelesen oder Filme wie „Vom Winde verweht“ geschaut hat, der weiß, was ich meine. Sind es heute andere Bücher oder Filme, so ist die Aussage doch recht ähnlich: Liebe passiert dir, und dann garantiert sie dir ein nie gekanntes, immerwährendes Hochgefühl. Ob in Partnerschaft oder Freundschaft oder sogar bei der Mutterliebe setzen wir voraus, dass sie uns taumeln lässt vor Glück - was sich spätestens nach monatelang durchwachten Nächten mit dem Säugling als Irrtum herausstellt. Und so manche Mutter fragt sich, ob sie ihr Kind genug lieben kann, wenn es naturgegebene Anforderungen stellt, die sie kaum erfüllen kann.

Liebe in unserem Denken ist, so scheint es mir, mit Erwartungen verknüpft.

Ich liebe dich, aber nur dann und so lange, wie du meinen Vorstellungen entsprichst. Tust du das nicht, dann liebe ich dich nicht mehr. Vor uns selbst rechtfertigen wir dieses Entlieben damit, dass der andere sich ja ändern könnte. Mal ehrlich - ist das Liebe? Aus meiner Sicht ist das ein Geschäft, ein Handel. Liebe gegen Liebe. Oder Liebe gegen erwünschtes Verhalten. Das bedeutet, dass ich mich konform, den Erwartungen des anderen entsprechend verhalten muss, um diese Liebe nicht zu verlieren. Und das bedeutet, dass ich mich nicht so zeige, wie ich wirklich bin. Eine Falle, die früher oder später zuschnappt. Nämlich dann, wenn ich mich so lange dem Wunsch beuge, bis ich mich selbst verliere. Das ist meistens der Moment, in dem es in einer Beziehung - sei es Partnerschaft oder Freundschaft - knallt. Lange Zeit sah doch alles so harmonisch aus. Genau, es sah nur so aus. Oberflächlich rein, nenne ich das. Und unten drunter blubberte anfangs nur leicht und brodelte später ziemlich arg der Unmut und die Unzufriedenheit. Nicht sein, wie man ist, um die Liebe nicht zu verlieren. Ist das ein freiwilliges, ebenbürtiges Miteinander? Welch ein Graus für beide!

„Bedenke, dass die beste Beziehung die ist, in der jeder Partner den anderen mehr liebt als braucht.“ (Dalai Lama)

In der Regel sind sich die beiden Menschen, die in einer derartigen Beziehung zueinanderstehen, nicht bewusst, dass ihr Lieben einem gegenseitigen Geschäft ähnelt. Wir haben es ja so gelernt und erfahren, es sollte doch richtig sein, wenn es alle so machen. Und überhaupt: Gibt es eine Alternative? Ja, die gibt es. Das Zauberwort lautet: Bedingungslose Liebe. Der Dalai Lama spricht davon. Spirituelle Werke sind mit dem Begriff gepflastert. Wenn die bedingungslose Liebe in aller Munde ist, dann muss sie ja DIE Lösung sein. B-E-D-I-N-G-U-N-G-S-L-O-S. Heißt, ich kann sein, wie ich will und werde trotzdem geliebt. Wow, das klingt gut. Auch, wenn ich rücksichtslos oder gemein bin? Ist die bedingungslose Liebe dann der Freifahrtschein für soziale Inkompetenz? Hier kommen wir an den Kernpunkt eines weit verbreiteten Missverständnisses:

Bedingungslose Liebe heißt NICHT, dass ich alles gut finden muss, was ein anderer Mensch denkt, fühlt, macht. Ich muss NICHT begeistert sein, wenn er mich verletzt oder mich nicht wertschätzt. Aber ich kann ihn trotzdem lieben. Wieso? Weil mit „lieben“ nicht die romantische Liebe, Eros, gemeint ist, sondern die allumfassende, bedingungslose Liebe, Agape genannt. Das Wort „Namaste“ aus dem indischen Sanskrit beschreibt es perfekt: „nama“ bedeutet „verbeugen“, „as“ bedeutet „ich“ und „te“ bedeutet „du“. Übersetzt heißt Namaste also „Ich verbeuge mich vor dir“. Mahatma Gandhi sagte es so: „Das Göttliche in mir erkennt das Göttliche in dir“. Diese Liebe sieht die Wahrheit ganz klar und realistisch und wertet und urteilt dennoch nicht. Sie sieht die Fehlbarkeit im anderen wie in sich selbst und sie erkennt auch die Größe und das Göttliche im anderen wie in sich selbst. Bedingungslose Liebe sagt JA zum Gegenüber als Wesen, als Mensch, als Seele und im Zweifelsfall NEIN zu Verhaltensweisen oder Erwartungen. Sie macht frei davon, den anderen nach dem eigenen, meistens gut gemeinten Wunschbild „formen“ zu wollen.

„Liebe ist der Entschluss das Ganze eines Menschen zu bejahen, die Einzelheiten mögen sein, wie sie wollen.“ (Otto Flake)

Wir alle sind liebenswerte Wesen, auch wenn wir nicht perfekt sind, vielleicht sogar WEIL wir nicht perfekt sind. Und dennoch darf ich mich abgrenzen, wenn ich anderer Ansicht bin. Ohne die Liebe aufzugeben. In einer Beziehung, Freundschaft würde das bedeuten, dass ich MEINE Wahrheit wertschätze und bin, wie ich bin. Wenn der andere das nicht mag, ist er frei zu gehen. Das ist Liebe, die frei lässt. Kein Geschäft, kein Handel. Diese Liebe hat eine völlig andere Energie.

Ich bin überzeugt, dass wir in unserem Miteinander etwas ganz Grundlegendes verändern sollten, ja sogar müssen: Ein friedliches, zufriedenes Leben funktioniert nur, wenn wir selbst so sind, wie wir sind. Und wenn wir andere so lassen, wie sie sind. Das hat etwas mit Respekt vor uns selbst und vor anderen zu tun. Wenn Sie nun glauben, ich hätte die Weisheit gepachtet und würde die bedingungslose Liebe jeden Tag von morgens bis abends leben - weit gefehlt. Auch ich bin ganz Mensch, ärgere mich, freue mich, liebe ... manchmal als Geschäft, manchmal ein klein wenig bedingungslos. Vielleicht kann ich sagen, ich nähere mich dem Gedanken, der hinter der bedingungslosen Liebe steht, jeden Tag ein Stückchen an und übe mich darin, die Menschen um mich herum aus eben diesem liebevollen Blick zu betrachten. Manchmal geht das gar nicht, manchmal geht es ganz gut. Als inkarnierter Mensch jedenfalls brauche ich keinen Heiligenschein zu haben, aber ich kann täglich daran arbeiten, meine Liebe noch freilassender und respektvoller werden zu lassen.

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