Säbelzahntiger mögen keine Intuition

  • 15. März 2020

Dieser Text wurde im Magazin "Zwischen Erde und Himmel", März 2020, veröffentlicht.

 

Über Intuition wird viel geredet und geschrieben. Dabei gerät sie häufig in ein nebulöses Umfeld: Man weiß nicht genau, was sie ist, vermutet sie (möglicherweise zu Recht) in der Bauchgegend und zeigt sich regelmäßig erstaunt über ihre Genauigkeit.

Intuition als Begriff ist abgeleitet aus dem lateinischen „intueri“ und bedeutet „anschauen, betrachten, erkennen“. Heute verstehen wir darunter ein spontanes, ganzheitliches Erkennen oder Wahrnehmen, und zwar auf einer tieferen Ebene, welche die Wahrheit des Ganzen erfasst (C.G. Jung). Intuition ist nicht begründbar, was in unserer Gesellschaft dazu geführt hat, dass wir naturwissenschaftlich belegbare Fakten überbewerten und der Intuition keinen Raum mehr zugestehen. 

Intuition leben in unserer Zeit ist mutig

Dennoch: Wir alle verfügen über eine Intuition, ein inneres, kreatives Wissen, das uns sicher lenkt und führt - sofern wir es zulassen. Dieses Zulassen ist nicht immer einfach, denn, wie oben schon gesagt, es gibt keine Beweise für die Richtigkeit der Wahrnehmung. Zumindest nicht im ersten Moment. Vielleicht im Nachhinein, aber dann sind wir der Intuition bereits gefolgt, ohne diesen Beweis vorher zu kennen oder zu wissen, dass wir ihn erhalten werden. Die Tatsache, dass wir seit vielen Jahrhunderten in einer beweisorientierten Gesellschaft leben, führte dazu, dass wir das Vertrauen in unser inneres Wissen verloren haben. Wenn man immer wieder erfährt, dass ausschließlich „Sichtbares“ die Wahrheit ausmacht und die Basis für Entscheidungen sein darf, dann wird genau diese Denkweise zur Normalität und so selbstverständlich, dass sie von niemandem angezweifelt wird. Mehr noch: Die Intuition wird als weitere Möglichkeit der Entscheidungsfindung aus dem gesunden menschlichen Verhalten herausgelöst und als esoterisch oder - im besten Falle - unsachlich oder unlogisch eingestuft. Wer sich dabei dennoch traut öffentlich kund zu tun, dass er oder sie auf seine Intuition - ohne vorherige Doppelblindstudie - vertraut, der ist echt mutig. 

Wir haben also im Laufe der Jahrhunderte verlernt unserer Intuition zu vertrauen. Eine vollkommen natürliche Fähigkeit, die uns Menschen zu Zeiten, in denen wir in kleinen Gruppen lebten und die Säbelzahntiger fürchten mussten, oft das Leben gerettet hat. Ohne diese unbewusste, unwillkürliche, nicht steuerbare Wahrnehmung wären wir nicht alt genug geworden, um die nächste Generation ins Leben zu bringen. Hätte man den Menschen der Urzeit etwas von wissenschaftlichen Beweisen anstelle des intuitiven Handelns erzählt, sie hätten den Überbringer dieser Nachricht mit dem Zeigefinger an der Stirn stehen gelassen, denn dieser Vorschlag wäre töricht und vollkommen am realen Leben vorbeigegangen.

 

„Die Intuition ist ein göttliches Geschenk,
der denkende Verstand ein treuer Diener.
Es ist paradox, dass wir heutzutage angefangen
haben, den Diener zu verehren und
die göttliche Gabe zu entweihen.“

Albert Einstein

 

Der eigenen Wahrnehmung misstrauen

Vor diesem Hintergrund erklärt sich ein Phänomen, das ich in meiner Praxis täglich beobachten kann: Das Misstrauen gegenüber der eigenen Intuition! Eine Klientin berichtete mir von einem Gefühl, das sie während einer Veranstaltung hatte. Sie konnte sich die Bedeutung des Gefühls nicht erklären, wusste aber, das es wichtig für sie war. Gleichzeitig befürchtete sie, dass ihr Gefühl „nur Quatsch“ sei und sie wahrscheinlich viel Lärm um nichts mache. Im Gespräch stellten wir 

a) die Ursache der Wahrnehmung und

b) die Bedeutung fest. Die Klientin verstand nun, was ihr die Wahrnehmung sagen wollte, so dass sie 

c) eine Handlungsstrategie entwickeln konnte. 

Was war geschehen?

Die Intuition hatte die Klientin auf etwas aufmerksam gemacht, sie gewarnt. Aufgrund der fehlenden Übung, diese Warnung verstehen zu können, konnte sie den Hinweis nicht adäquat nutzen und somit auch keinen Schutz aktivieren. Bei dieser Klientin hätte sich der Säbelzahntiger über ein lecker Mjamjam freuen können. Doch ich möchte fair sein, denn eines war ihr wunderbar gelungen: Sie hatte gespürt, dass sie „etwas“ wahrgenommen hatte. Das komische, seltsame Gefühl war in ihrem Bewusstsein angekommen, so dass sie den Impuls hatte, es klären zu wollen.

Der Intuition Raum geben

Es gibt drei einfache Schritte, mit denen wir unsere Intuition entwickeln und ausbauen können:

1. Achtsam sein: „Hups, was ist das für ein seltsames Gefühl?“

Achten Sie auf Ihre Gefühle, auch die kleinen, unscheinbaren zwischendurch. Diese emotionalen Hüpfer sind oftmals Hinweise auf wichtige Tatsachen, die unserem Auge entgehen. Nehmen Sie diese Wahrnehmungen ernst, auch wenn Sie zunächst nichts damit anfangen können. Wenn Sie dazu bereit sind, werden die Erklärungen kommen.

2. Ehrlich sein: „Wenn ich dem Gefühl nachspüre, dann war das unangenehm.“

Seien Sie ehrlich sich selbst gegenüber, wenn Sie diese Gefühle zu verstehen versuchen. Machen Sie sich nichts vor, hübschen Sie nichts an, auch wenn Sie sich für manche Gefühle oder Gedanken schämen. Nur Ehrlichkeit bringt Sie weiter.

3. Sich selbst treu bleiben: „Ich glaube, das tut mir nicht gut. Möchte ich so weiter machen?“

Prüfen Sie, ob das Wahrgenommene Sie auffordert, etwas zu verändern, z. B. Ihre Denkweise oder aber auch Ihr Handeln. Natürlich gilt dies ebenfalls für positive Wahrnehmungen, also z. B. wenn Ihnen etwas besonders gut tut, was Ihnen bisher nicht bewusst war. 

Wenn Sie an Punkt drei angekommen und sich darüber klar geworden sind, dass Sie etwas verändern möchten, brauchen Sie nur noch eins: den Mut, es umzusetzen. Im Falle des Säbelzahntigers fällt das leicht, doch wenn es darum geht, z. B. sich von Menschen zu entfernen, tauchen möglicherweise Glaubenssätze auf, die das zu verhindern versuchen. Oder auch, wenn wir z. B. in die Holzhütte in Alaska ziehen möchten, dies aber vom Umfeld abgelehnt wird.
Unsere Intuition ist also nicht der Mut, etwas zu tun, sondern eher die leise Alarmglocke, die eine Veränderung herbeiführen möchte. Sie ist der Impuls eines tiefen, uns bisher unbewussten Wissens, manchmal in Form von Bauchgefühl, manchmal durch Gedanken(-blitze), manchmal durch ein spontanes Wissen, ohne zu wissen, woher es kommt. Wenn sich dann auch noch der denkende Verstand dazu gesellt, wird das Ergebnis aus intuitivem Wissen + Verstandeswissen wunderbar bereichernde Ergebnisse mit sich ziehen. Denn es geht nicht um entweder oder, sondern um sowohl als auch!

Also schenken wir unserer Intuition den Platz, der ihr gebührt! Laden wir sie ein, unser Leben durch ihre Impulse zu bereichern. Danken wir ihr für ihren Schutz, ihre Fürsorge, ihre Kreativität. In einer Zeit, in der wir aufgefordert sind, Position zu beziehen für unser Überzeugungen und Werte, reicht der Verstand alleine nicht mehr aus. Wir brauchen ganz dringend unsere innere Stimme, die uns durch den Dschungel der Meinungen führt, sie ist der Kompass, auf den wir uns bedingungslos verlassen können - wenn wir uns vertrauen.

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